Foto: Jens Tremmel, Marbach
Gregor Laschen
EIN ZEITGENÖSSISCHES WIR
...Die früher im Gedicht Haufs, freilich immer schon nicht sehr großgeschriebenen und zumeist auch noch mit einem schwebenden vielleicht versehenen Signale und Gesten des Widerstands und einer noch übrigen Hoffnung auf Stabilisierung der schwankenden Verhältnisse, in denen das sprechende Wir dieses Gedichts sich findet, diese Signale, der Flaschenpost anverwandt, wie Mandelstam sie beschrieb und Celan sie als poetologische Chiffre übernahm, - sie sind seltener geworden im neuen Band, aber eben doch nicht verschwunden. Und wie meist bei Haufs nähren sie sich nicht aus der emphatisch-naiven Sprachgestik der Utopien oder gar Ideologien, sondern blinken im hellen Licht einer gelassenen Ironie, zuweilen Sarkastik, oft verlegt ans Ende des Gedichts: Auf zu den Märchen heißt es dann von fern an Frans Fühmanns Poetik von der Richtung der Märchen erinnernd, oder: Keine Angst mehr / Überall Experten.
In seiner Rede zum Hölderlin-Preis 1990 sagte Haufs: Irritation ist das Schlüsselwort, Irritation als der einzige Atem, der das Gedicht „weit draußen“ (Celan) leben läßt, eine andere Möglichkeit des Sprechens gegen die Phantasielosigkeit öffentlichen und privaten Redens... Irritation ist notwendiger denn je. Wer nicht mit jeder Zeile alles sagen will, begibt sich der poetischen Integrität.
Die gelassene Helligkeit der späten Gedichte Rolf Haufs hat ihren Anfang in der Verwirrung, in der Irritation über die Lage der Dinge in dieser Welt, in Schmerz und Verletzung, in die wir geraten sind: seine melancholische Grundgestimmtheit verwandelt die Empörung darüber, den Aufstand dagegen in ein unaufgeregtes Rede, eindringlich, unüberhörbar. Wir haben es hier mit einer hochentwickelten Wirklichkeitswahrnehmung zu tun, ausgespannt zwischen der Wahrnehmung dessen was ist und zuendekommt und der reflektierenden Wahrnehmung der eigenen Wahrnehmung, in der Art eines ironisch getönten Beiseite-Sprechens, doch solidarisch: nicht ein lyrisches Ich klingt im Gedicht von Haufs, sondern ein Wir, ein zeitgenössisches Wir, satt von Erfahrung und in der Luft die Stimmen der Väter.
(Aus: Gregor Laschen, Notiz zu Rolf Haufs, 2003)