Oskar Pastior

Foto: M. Michaelis / DLA Marbach


  • geboren 1927 in einer siebenbürgisch-deutschen Familie in Hermannstadt, gestorben 2006 in Frankfurt a. M.
  • 1945 Deportation in sowjetische Arbeitslager
  • 1949 Rückkehr nach Hermannstadt
  • 1955-60 Studium (Deutschen Sprache und Literatur)
  • 1960-68 Redakteur für deutschsprachige Inlandsendungen beim Rumänischen Rundfunk
  • veröffentlicht seit 1960 in deutscher Sprache, u.a. Prosa, Gedichtbände, Übersetzungen, Editionen, Hörspiele
  • 1964 erster Gedichtband »Offne Worte«
  • Schwerpunkt seiner Lyrik auf Sprachspiel und Wortartistik
  • 2006 erhält er postum den Georg-Büchner-Preis

Oskar Pastior: Villanella & Pantum

Foto: Jens Tremmel, Marbach

Ernest Wichner
KLIPP UND KLAR PASTIOR

Sechzig Übertragungen aus einem Frequenzbereich, lautet der Untertitel zu dem Band Höricht. Sechzig innersprachliche Übersetzungen aus der Schwingungszone jener Sprach- und Sprechwelten, die Hören, Sprechen, So-und-anders-Verstehen, d.h. richtiges Mißverstehen und falsches Verständnis und vor allem die Mischungen und Durchdringungsverhältnisse beider in den verschiedensten Eintrübungs- und Erhellungsvaleurs entwerfen. Das Übersetzen, Sie merken es bereits, wird mir zur Chiffre für Oskar Pastiors eigene literarische Arbeit; ich meine damit nicht jenen Oskar Pastior, der Velimir Chlebnikow, Urmuz, Tristan Tzara, Marin Sorescu, Petre Stoica, Gertrude Stein, Gellu Naum und davor wie daneben noch eine ganze Reihe weiterer rumänischer, ungarischer, bulgarischer, niederländischer und französischer Dichter übersetzt hat, sondern jenen, der sich selbst auf die Frage Was spreche ich? Antwortet: Klipp und klar pastior. Auch wenn ich es als Privatidiom bezeichne und hin und wieder Krimgotisch nenne, indem ich auf die Randphänomenalität der Gemengelage in jeder Sprachbiographie verweise.

In jenem Krimgotisch – hörbar in den Liedern und Balladen des Krimgotischen Fächer(s) von 1978 – hat Oskar Pastior das betörende Kauderwelsch Osteuropas, einer mittlerweile in triste Nationalsprachigkeiten zurückgefallenen Region, in Dichtungssprache umbuchstabiert. ...die siebenbürgisch-sächsische Mundart der Großeltern; das leicht archaische Neuhochdeutsch der Eltern; das Rumänisch der Staße und der Behörden; ein bissel Ungarisch; primitives Lagerrussisch; Reste von Schullatein, Pharmagriechisch, Uni-Mittel- und Althochdeutsch; angelesenes Französisch, Englisch, so hat Oskar Pastior seine Sprachenmelange beschrieben, und diese ist der klangliche und semantische Hallraum, in dem – durchaus biographisch aufgeladen – die Lieder und Balladen sangbar werden. In diesem Idiom wird einer Landschafts- und Geschichtserfahrung die adäquate, eine zerstückelte, unsystematische Sprache abmodelliert; eine Form entsteht, der Übersetzbarkeit – in Laut und in Ton und Bedeutung – die Grundvoraussetzung für die Existenz des Textes als Text ist; die Übersetzbarkeit in andere Sprachen hingegen ist absolut – mithin obsolet.

Die illustrierende Anekdote aus der Biographie des Autors geht so: Vom Beginn der sechziger Jahre bis zu seiner Ausreise im Jahre 1968 arbeitete Oskar Pastior als Redakteur beim deutschsprachigen Programm von Radio Bukarest. Eine seiner Dienstreisen führte ihn in ein abgelegenes siebenbürgisches Dorf, in dem er eine alte Bäuerin fragte, ob sie denn das deutsche Rundfunkprogramm von Radio Bukarest höre. Ja, sagte die Frau, sie höre es jeden Abend um 20 Uhr und sei dann immer ganz glücklich und gerührt, wenn sie plötzlich alte, stille Sterne höre. Die deutsche Radiosendung, dies wußte der Redakteur, wurde nachmittags gesendet, abends um 20 Uhr kamen die Hauptnachrichten des Rumänischen Rundfunks in rumänischer Sprache, deren dritter Nachrichtenblock mit dem Titel Alte, stiri externe (dt.: weitere Auslandsnachrichten) eingeleitet wurde. Alte, stille Sterne überstrahlten sentiment­beladen die unverstanden gebliebenen Berichte von Militärputschen, ultimativen Aufforderungen und ins Stocken geratenen Friedensgesprächen. Auf treffendste, weil extrem paradoxe Weise übersetzt in dieser Anekdote ein Zustand sich selbst. Und zwar nicht bloß weil Übersetzen – nach Oskar Pastior – das falsche Wort für einen Vorgang ist, den es nicht gibt.

Lesen Sie die Villanellen und horchen Sie nach, in welche Erlebnis- und Textschichten Sie das in Ihrem Kopf entstehende Gedicht übersetzt.

(Aus: Ernest Wichner, Laudatio auf Oskar Pastior, 3.4.2001)