Foto: Jens Tremmel, Marbach
Peter Geist
DAS KREISCHEN UND BRECHEN
In den achtziger Jahren floß die Fülle des alltäglich erlebten Absurden mehr und mehr in Adolf Endlers Prosa, ein wucherndes Werk von Fachsprachen, Funktions- und Funktionärs-Grammatiken, Hinterhofdialogen und Kaderwelsch, Romanexposés und Dramoletten mit verschiedenen Spaltungsfiguren: Bobbi Bumke Bergermann, Robert F. Kellerman, Robert Bubi Blazezak. Und und und - doch auch die Lyrik begann mehr und mehr phantasmagorisch zu wuchern in der Steigerungsform Schwarzen Humors Bretonscher Provenienz: schwärzester schwarzer Humor, Stakkati und Blitzbildgewitter, fratzenhafte Gedichte, in denen wir die Fratzen dieses Jahrhunderts erblicken, die man mit Moderne verharmlost. Seien wir brüderlich zueinander / Brüderlich brüderlich / Mahnte der große Jacques Pimmel / (Sein Handschuh wies zum Himmel)(...) Es entstehen Gedichte, in denen mit der Gefahr des Absturzes ins Irre-Sein wohl nicht nur kokettiert wird.
Wenn z. B. Das Sandkorn noch in alexandrinischer Stringenz das Gemeinwesen durchsetzt, sind Sandkörner Jahre später eher zersetzende Partikel, schutzarm imaginär und tödlich vor allem: ich schließ meine augen / ich schließ mich tief ein / unter mein lid meine wimper / sandkörner fallen verbrannt / über fuß über wange und hand / tödlicher sand. Oder im Gedicht Mit Howhannes Thumanjan: In Sommers Mittagsglut mein Herz Gefallen / Am Boden ich Mein Ziel verlor ich Jüngst // Mein Täglichbrot Zerwürfnis Hohn Verleumdung / Nicht schmäh ich länger das Exil das süße.
Die Hefte des irren Fürsten wie auch zerspleißende Texte wie Schwarzwolkpruetsch, die Bedeutungszuweisungen bereits im Wortansatz stören, sind wohl auch deshalb als Dokumente der Verstörung zu lesen, weil der Autor diese weitere Radikalisierung der Materialerhitzung denn doch nicht mehr traditionell-avantgardistisch als Weiterschreiten apostrophieren konnte. Wenn er etwa Georg Heyms Deine Wimpern, die langen ummodelt in Deine Blicke, die langen, / Rührn mit riesigen Stangen / Zoll für Zoll, Zoll für Zoll / Hier das Menschengewimmel, / Erster Koch Du im Himmel!, dann beginnen waghalsige Balanceakte ins Ungesicherte, Erfahrungs-Verrückung ins Extrem zu dehnen:
endlich kippt das alles kreischend ins Wüste und Kaputte um und sticht zerbeult sternenwärts, bringt es Endler auf den Punkt. Und in dieser Schrägsicht von außen-unten bringen sich die Texte uns Ultra-Täterätä und Ultra-Bimbam des größeren Deutschland ein: Die Absurdität der Welt ist natürlich geblieben, auch wenn die Nußschale (gemeint ist die DDR, P. G.) geplatzt ist. Deshalb gibt’s für ihn keine postalisch fehlgeleitete Ausweg-Möglichkeit, Schluß mit der Dichtkunst, / Schluß mit dem lyrischen Krampf! zu machen. O nein, auf ein fadenscheiniges Protestvergissmeinnicht, fiepend; / und mit grinsend verblühender Pfote – dürfen wir weiterhin gefasst sein. Das traumsplitterhafte spitze Gespritz hat ahnungssicher ein Lebenswerk imaginiert, dessen krude Schönheit ehrenhaft ins Jahrtausend weist: Ich versteck mich in einem Blütenbaum / Von blutgen Propellern zerschnitten / er kreischt er bricht -//- Hörts nie auf das Kreischen und Brechen?
(Aus: Peter Geist, Laudatio auf Adolf Endler, 3.4.2000)