Foto: Jens Tremmel, Marbach
Michael Braun
GEDICHT DRAUSSEN / AM RAND
Gregor Laschen, der seit 1972 als Dozent für Neuere deutsche Literatur an der Universität Utrecht lehrt, hat sich immer etwas außer Landes gefühlt, wie es schon in der anderen Geschichte der Wolken heißt. Die Spuren deutscher Zerstörungswut hat er in den Niederlanden und in Dänemark entziffern gelernt. So ist es auch als notwendige poetische Antwort auf die Nachbarschafts-Unfähigkeit der Deutschen zu verstehen, wenn sich Gregor Laschen seit 1988 als Vermittler zwischen den Sprachen und Literaturen bewegt und die Reihe Poesie der Nachbarn organisiert. In den Jammerbugt-Notaten finden sich einige schöne Widmungs- und Porträtgedichte auf einige der europäischen Dichterkollegen. Diese anspielungsreichen, intertextuellen Dialoge gehören zu den wenigen Aufhellungen in diesen bitteren Existenzbefunden, diesen Evokationen von Endzeit und Verlassenheit, von Herrschaftseis und vernagelter Welt.
Das Gedicht des Gregor Laschen zeigt uns die Welt als letzte Gegend der Geschlagenheit. Nicht nur in der Diagnose des geschichtlichen Augenblicks, sondern bis in einzelne Motive und Metaphern hinein korrespondieren die Jammerbugt-Notate dabei mit den Dichtungen eines Erich Arendt und Ernst Meister. So hat einst Erich Arendt seine Vision von Geschichte als Leidensgeschichte in das düstere Bild von der Zeit der Knochen gefasst. Auch die Jammerbugt-Notate Gregor Laschens begreifen das Bild einer mit Knochen vernagelten Welt als Epochensignatur. Der Mensch erscheint hier nur noch im Zustand der Deformation, als zerstückeltes, verkrüppeltes Wesen, als knochengewordener Sterbestoff. In dieser skelettierten, zermahlenen Welt wächst nichts Rettendes mehr. Dazu zwei Textbeispiele: Die Krüppelherde Mensch, den Leib / behängt mit Stücken Pein / und Wünschen geht / auf Kunstknochen / in die Verlassenheit zurück... Knochenberge, Knochenmehl, Späne / und Knochenfraß, / ausgetretenes / Knochenmark, Kunstknochen / zuhauf: an Kunststützen, die / abgemachte Großskulptur / am Ende / der Erde winkt / ins Leere. In solchen Versen kriecht die Hoffnung aus der Welt, ein Exodus ohne Aussicht auf Rückkehr. Angesichts dieser verzweifelten Lagebeschreibung beginnt man zu zweifeln, ob uns denn das Gedicht aus Dunkel, Verlorenheit und Selbstvergessenheit herausführen kann. Für das Gedicht Gregor Laschens in seiner Position draußen / am Rand gilt, so glaube ich, eine schöne Formel Ernst Meisters: Mein Gedicht sagt, was ich weiß. / Es fragt dich, was du weißt.
(Aus: Michael Braun, Versuch, Gregor Laschens Jammerbugt-Notate zu verstehen, 3.4.1996)