Ludwig Greve

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  • geboren 1924 in Berlin als Sohn jüdischer Eltern, 1991 gestorben in Amrum
  • 1938 Emigrationsversuch nach Havanna scheitert, Exil in Frankreich
  • 1944 Vater und Schwester werden deportiert, Flucht mit Mutter nach Italien
  • Tätigkeit im Widerstand und erste Schreibversuche
  • 1945 Auswanderung nach Haifa/Palästina
  • 1950 Rückkehr nach Deutschland
  • 1952 erste Gedichtveröffentlichungen und Einzug in die Freie Kunstschule Bernstein
  • ab 1957 Mitarbeiter des Deutschen Literaturarchivs Marbach a.N.
  • 1968-88 Bibliothekar in Marbach
  • 1991 erscheint letzter Gedichtband »Sie lacht und andere Gedichte«

Ludwig Greve: Sie lacht und andere Gedichte

Foto: Jens Tremmel, Marbach

Wulf Kirsten
HINWEIS AUF LUDWIG GREVE

Deutsch war für Ludwig Greve, der 1933 zum Juden ernannt worden war und Deutschland 1939 mit seiner Familie verlassen musste, die Stiefmuttersprache. Seine prägenden Jugendjahre hat Ludwig Greve auf der Flucht verbringen müssen, die ihm zu einer Odyssee geriet. Er und seine Mutter, die im Januar 1944 in einem piemontesischen Bergdorf von einer Granate an der Schulter schwer verwundet wurde, überlebten in einem Versteck. Sein Vater und seine jüngere Schwester, deren Andenken das Gedicht Lucca, Giardino Botanico gewidmet ist, wurden deportiert. Spätestens hier drängt sich der sehr bekannt gewordene und viel zu oft zitierte Satz von Theodor W. Adorno auf. Diese Bemerkung und alles Unheil, die sie bedenkt und umschließt, hat Ludwig Greve das Schreiben so schwer gemacht. Adornos tausendfach widerlegte Behauptung, ein Appell an das Gewissen gegen die Vergeßlichkeit, ist in all seinen biographisch mehr verschwiegenen als offenbarenden Gedichten mitzulesen. Die Skrupel, sich der geschändeten deutschen Sprache dichterisch zu bedienen, sind ohne diesen Erlebnishintergrund nicht zu verstehen, nicht zu ermessen. Wenn sich ihm die Haare sträubten bei allem Biographischen, dann wohl vor allem deshalb, weil er seine Irrfahrt und Lebensunruhe nicht als exotischen, abenteuerlichen Stoff ausgestellt wissen mochte. Seine Gedichte sollten als Dichtung wirken. Er wollte keinen Bonus auf seine Exiljahre und das persönliche Leid. 1984 schrieb Friedhelm Kemp, nachdem der Privatdruck Playback erschienen war: Das offenbare Geheimnis der Dichtung ist ihre Unsichtbarkeit. Je lauter, je selbstgewisser einer spricht, desto weniger hört man, desto weniger sieht man ihn. Scheinwerfer verdunkeln. Da hilft nichts, als das Licht auszudrehen und zu warten, ob sich was zeigt; zu warten, ob ein Wort sich dafür einstellt. In Ludwig Greves Gedichten kommt das Ungeheure unscheinbar daher; genauer, das Unscheinbare ist schon das Ungeheure, jeden Tag, hier, den Bahndamm entlang, nicht anders als dort, wo gestorben wird. Die Grundierung bleibt dunkel, davor leuchtet diese Schrift. Furchtlos, des Furchtbaren inne und seiner gewiß. Allen modischen Schwenks und Trends hat er sich ferngehalten. Auf ein eingängiges Parlando konnte er sich nicht verstehen, bis hin zum Störrischen, wie ihm konzediert worden ist. Für ihn behielten die Worte ihren Ernst und ihre Bedeutungsschwere. Sie meinen das, was sie sagen. Da er sich gar nicht oder nur schwer vergleichen läßt, wurde ihm die Rolle des Außenseiters zuteil. Sichtet man zeitgenössische Anthologien, so ist er überhaupt nicht existent. Vielleicht trägt die Zuerkennung des Peter-Huchel-Preises dazu bei, seinen literarischen Rang nun auch außerhalb des Freundeskreises publik zu machen.

(Aus: Wulf Kirsten, Laudatio auf Ludwig Greve, 3.4.1992)