Luise Schmidt

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  • geboren 1955 in Köln
  • Studium (Germanistik, Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und Völkerkunde)
  • seit 1979 Veröffentlichung von Gedichten in Zeitungen, Sammelwerken und Zeitschriften
  • seit 1982 freie Schriftstellerin
  • 1987 Rolf-Dieter-Brinkmann Stipendium und Förderpreis für Literatur des Landes Nordrhein-Westfalen
  • 1988 erscheint erster Gedichtband »Die Finsternis, die freie Existenz«

Luise Schmidt: Die Finsternis die freie Existenz

Foto: Jens Tremmel, Marbach

Hannelore Schlaffer
VON DER UNGEFÄLLIGKEIT DER MODERNEN LYRIK

Der Lyriker der Gegenwart narrt den Leser, indem er dessen Sprache spricht, und Luise Schmidt schließt sich dieser Sitte an. Alle Floskeln der Erhebung, die Metaphern der Entrückung, Melodie und Rhythmus der Schönheit vermeidet sie, um, vielleicht zur Enttäuschung des an der Tradition geschulten Lesers, den Ton der Alltagssprache zum Ton ihres Gedichts zu machen. Mit solcher Klanglosigkeit entscheidet sie sich für die Richtung der Moderne. Auch andere Stile nämlich wären ihr selbst heute zur Verfügung gestanden: zum Beispiel der einer neoromantischen Naturlyrik; oder der einer experimentellen Sprachkritik, wie sie von der Bewegung des Dada begründet wurde; oder der einer Ironisierung literarischer Haltungen, wie sie Heine in seiner frechen Lyrik übte und wie sie in der Gegenwart am ehesten bei Erich Fried zu finden sind. Luise Schmidt hingegen stellt sich in die Tradition der Neuen Sachlichkeit. Von ihr übernimmt sie nur Worte und Motive, nicht aber Struktur und Aussage der Gedichte.

Ihr Vokabular ist das blasse, farblose, trockene der Alltagssprache, die Grammatik arrangiert die Sätze zu bewußt unmusikalischen Wortgefügen, die inhaltlichen Motive aber entnimmt Luise Schmidt bestimmten gesellschaftlichen Situationen. Gleichwohl zielt sie, auch wenn sie die Elemente ihrer Kunst aus der Gebrauchssprache bezieht, nicht auf die Mimesis der Wirklichkeit. Wenn auch der Leser beim flüchtigen Blättern in dem Gedichtband seine eigenen Sätze wieder findet, so wie sie oben zitiert wurden: im Zusammenhang des Gedichts gerät das Allzuvertraute unversehens in eine geheimnisvolle Verwirrung, Aus der Sicherheit seiner eigenen Sprache gerät der Leser in die Unsicherheit, die das Gedicht inszeniert....

Der Leser sucht heutzutage noch immer nach der Schönheit von Sprache und Empfindung, und so könnte er geneigt sein, sich von den Sätzen der Luise Schmidt geradezu das Gruseln lehren zu lassen; als Kunstbetrachter hingegen könnte er zur gleichen Zeit in eine Ausstellung avantgardistischer Gemälde gehen und jedes Informel, und sei es noch so grau oder grell, schmutzig oder bunt, und jeden neuen Wilden, sei er noch so rüde, als Kunst akzeptieren. Von einem modernen Gedicht Korrektheit, Schönheit, ja gar Musikalität der Sprache zu erwarten, wäre so viel verlangt, wie wenn man Francis Bacon aufforderte, daß er die Porträts der Päpste so glanzvoll malte wie einst Raffael.

Bis an die Schmerzgrenze geht die Lyrik der Luise Schmidt immer. Die Autorin zeigt nicht ihre Welt, auch nicht die Welt ihres Innern, sondern fingiert die Welt der anderen, die freilich der alltäglichen Realität nur Rudimente sozialer Ereignisse entnimmt und sie zu einem Epos addiert, dessen Titel heißen könnte Die Verdammten.

(Aus: Hannelore Schlaffer, Laudatio auf Luise Schmidt, 3.4.1989)