Michael Krüger

Foto: Peter-Andreas Hassiepen


  • geboren 1943 in Wittgendorf/Sachsen
  • Lehre als Verlagsbuchhändler, besucht zudem Veranstaltungen der Philosophischen Fakultät an der Freien Universität Berlin
  • journalistische Arbeiten für Zeitungen und Rundfunk
  • seit 1968 Verlagslektor beim Carl Hanser Verlag, seit 1986 Verlagsleiter, seit 1995 Geschäftsführer
  • 1976 erster Gedichtband »Reginapoly«
  • 1984 erster Prosatext »Was tun?«
  • 1991 erster Roman »Der Mann im Turm«
  • Herausgeber von Anthologien und Werkausgaben
  • 2010 erscheint der Gedichtband »Ins Reine«

Michael Krüger: Die Dronte

Foto: Jens Tremmel, Marbach

Adolf Muschg
JENE NÄRRISCHE WEISHEIT

Michael Krüger als Leser: natürlich darf einem dazu sein Beruf einfallen. Er ist Lektor eines belletristischen Verlags, Herausgeber literarischer Zeitschriften. Was einem nicht einfallen darf: aus der Fähigkeit oder Pflicht, Manuskripte anderer zu lesen, Schlüsse zu ziehen, schnelle Schlüsse auf die Arbeit des Lyrikers Krüger. Wahr ist nur: daß das professionelle Lesen Zeit beansprucht, die für das absichtslose Lesen anderer Zeichen – also auch für das Schreiben eigener Gedichte – fehlt. Wahr ist außerdem: der gefräßige Literaturmarkt hindert die Hersteller der Ware, nach der er schreit, schon fast systematisch daran, sie verantwortlich herzustellen; er hindert sie erst recht daran, dieser Arbeit froh zu werden. Ich habe inzwischen von so vielen Seiten gehört, warum Michael Krüger den Huchel-Preis bekommen habe, gegen wen und mit welcher Absicht, daß ich ihn um das Medium immer weniger beneide, in dem er Literatur zu vertreten hat, die seiner Autoren oder seine eigene. Die Jury war arglos genug, sich von nichts weiter bestechen zu lassen, als von literarischer Qualität – einer Qualität, an der ihr eine im Deutschen freilich nicht eben geläufige Kombination von empfindlicher und sicherer Zeichensetzung auffiel. Mag sein, daß man sich eine so diskrete Meisterschaft im täglichen Umgang mit bedeutender Literatur aller Sprachen eher erwirbt als in einer lyrischen Einsiedelei. Aber was man sich davon überhaupt erwerben kann, ist gerade in der deutschen Literaturtradition – will sagen: jenem genialischen Mangel an Tradition, der das Dichten immer neu zu erfinden zwingt – schwer genug erworben. Und wenn das Schwere daran nicht sauer geworden ist, sondern scheinbar gelassen daherkommt wie bei Krüger, so wird man seine berufliche Vorbelastung durch Literatur nicht anders beurteilen als diejenige der Lektoren Oskar Loerke oder Peter Huchel: als gelungene Arbeit...

Es wäre vielleicht nicht ganz falsch, Michael Krüger einen gut getarnten Mystiker zu nennen. Oder einen Schriftgelehrten am Ende aller Bücher, wo die Weisheit der Meister beginnt: jene närrische Weisheit, die ihr letztes Wort ins Wasser schreibt. Es wäre auch nicht ganz falsch, Krüger einen Meister des Liebesgedichts zu nennen, einen lyrischen Landschafts- und Wettermaler erster Güte, einen Erneuerer der Römischen Elegie, einen Dichter für Kunstmaler. Aber all das ist er mit einem Rest, der nicht aufgeht, der sich nur ungesucht finden lässt und auf den alles ankommt. Diese Reste aufnehmend, gehen Krügers Gedichte einem Horizont nach, den sie niemals einholen, sammeln sie Strandgüter der wörtlichen Zivilisation als Zeugnisse gegen ihre voreilige Hoffnung, aber auch gegen ihre ungeduldige Verzweiflung. Wer etwas ganz tut, der muß das Ganze offen lassen können. Nur der Trivialkünstler findet auf seinem Weg immer den Schuh, den er sich und dem Leser getrost anziehen möchte. Für den Liebhaber der Ehrlichkeit kommt zuviel dazwischen: zwischen Ursache und Folge, Bild und Bedeutung, Ich und Du, Lüge und Wahrheit, Leben und Tod. Von diesem Zwischen-Raum handeln Krügers Gedichte.

(Aus: Adolf Muschg, Laudatio auf Michael Krüger, 3.4.1986)